Katalog Martin Dittberner 1971
Galerie Lietzow

Das Intime – Das Absurde, Versuch über M. Dittberner

Es ist sonderbar um Martin Dittberner; er wird abgelehnt oder mit einer Wertschätzung beschenkt, zu der nur Liebhaber fähig sind. An ihm schieden sich die Geister schon vor einem Jahrzehnt, und das ist so geblieben. Seine künstlerische Arbeit ist zum Gradmesser der Temperamente geworden, zum Eckstein für Meinungen, Kriterien und Auffassungen über Kunst und Kunst-Mögliches, wie es nur selten die Arbeit eines Künstlers ist.

Das Sonderbarste aber: Um ihn und sein Werk hat sich der Ruf des Besonderen, des Ausser-der-Normalspur-Laufenden gerankt. Ein Ruf, der weder mit dem Eroberischen der Popularität zu tun hat, noch mit dem Glöckchenruf des "Geheimtips".

Nur wenige sahen vieles von ihm. Lediglich zwei Einzelausstellungen in zehn Jahren boten einen bemessenen Überblick. Vieles entsteht ohnehin nicht unter seiner Hand. Er braucht Ruhe, er braucht Zeit, er braucht die Muße, um die Musen seiner fabulierenden Phantasie zum Singen zu bringen: Ein Outsider und Einzelgänger im Aktualitäten-Alltag; einer, der sich den Luxus leistet, das künstlerische Ich entschieden wider die Zeit zu stellen – besser: wider die vielgearteten Zwänge, die mit dem Begriff "Zeit" verbunden werden.

Diese Ausstellung – es ist Dittberners dritte Einzelausstellung – beschränkt sich auf das druckgraphische Werk. Sechsundzwanzig Radierungen zählt das graphische Gesamtwerk aus vier Jahren. Eine Abfolge von kleinformatigen Blättern voller beispielloser Intimität: Kammerkunstwerke einer stillen künstlerischen Reflexion, deren Intensität nur den erreicht, der sich mit Dittberners minutiöse Bildwelt einzuschwingen vermag.

Als Intimist nimmt Dittberner innerhalb der ars phantasica eine Sonderstellung ein. Allerdings ist er ein Intimist, der sich in der Reserve hält, der das Spiel seiner Bildfabulierungen in souveräner Distanziertheit aufzeigt. Hierin ist Dittberner, ein gebürtiger Berliner, ein direkter Erbe der norddeutschen Romantik. Caspar David Friedrich und E.T.A. Hoffmann sind seine Ahnen.

Sentimentalität im Sinne einer unreflektierten, unkontrollierten Gefühlsausschüttung ist bei ihm nirgendwo zu finden. Soviel Sensibilität, ja, Zärtlichkeit Dittberners graphische Blätter auch zeigen, die bildliche Szene wird bestimmt durch das maßsetzende Selbstverständnis der künstlerischen Reflexion.

Blatt um Blatt fügt das Spiel der künstlerischen Intelligenz neue Szenen einer umfassenden, phantastischen Poesie des Absurden. Die Köstlichkeit der Skurrilen, das Zärtliche der Heiterkeit. die Stille der Melancholie sind einander verbunden. Realität und deren vieldeutiges Gegenteil haben bei Dittberner gleiche Wertigkeit. Erinnerung und utopischer Entwurf, historisches Zitat und freie Fabulierung verschmelzen. Ursprüngliche Sinnbedeutungen werden aufgehoben und sind lediglich in verschlüsselter Umkehrung lesbar. Die Gesetze der Logik sind außer Kraft gesetzt: Erde ist dort, wo alles schwebt – Leben ist dort, wo alles tot ist. Vineta und das unbabylonisch-babylonische Bobilan sind ebenso geheimnisvoll wie die zitierten Existenzen von Cleo, Dr. Heh und General Juni. Mauern und Türme, die Rätsel aufgeben, Gesichter, die nicht identifizierbar sind: Das Absurde – nicht als dialektische Infragestellung des Logischen, sondern als sinnlich erfahrbares und sinnlich nachvollziehbares Selbstverständnis – ist Ausgang und Inhalt in Dittberners künstlerischer Arbeit.

Nach psychologischen Motivationen zu suchen, ist müßig. Entscheidend ist das Maß der künstlerischen Entschiedenheit, über das Dittberner verfügt, und das Vermögen, diese Entschiedenheit mit adäquaten Mitteln im Werk zu verdeutlichen.

Godehard Lietzow