Katalog Heinrich Richter 1971
Galerie Lietzow

WAS IST EIN BILD?

Lieber Godehard, Du fragst mich – was ist ein Bild:
Würde ich unsere Zeit hervorheben, müsste ich sagen: es ist Material. An zweiter Stelle erst steht ein Mensch, der dieses Material zu einem Bild macht.

Jede Zeit hat IHR Bild. Ich glaube nicht, dass DAS Bild unserer Zeit bereits so abgeschlossen ist, dass wir es heute bedingungslos anerkennen müssten. Ich weiß, dass keiner, der sich an einer Bildgestaltung unserer Zeit beteiligte, bis zum heutige Tag ein Bild geschaffen hat, das endgültig seine Existenz beweist. Die Bildthemen, die seit einem Jahrhundert für die Aktualität dieser Existenz werben, sind lediglich Möglichkeiten – "Ausschnitte" aus unserem Leben – Möglichkeiten, unsere Umwelt zu erkennen, ein wenig den Begriff von Zeit zu erfahren. Das Heute – die Überbetonung des Politischen, der Ideologie im Bild – ist auch nur ein Ausschnitt.

Der Künstler als "subjektiver Historiker" wünscht sich zu Lebzeiten ein eigenes Museum – wünscht sich damit, dass ihn die Gesellschaft bestätigt, wie er es tut. Ich glaube, dass ein Bild, trotz Abstraktionen, nach wie vor zwei Grundvoraussetzungen hat: die Szene und den Menschen: die Szene, auf der der Mensch auftritt.

Die moderne Malerei (eine Bezeichnung für letzte Ergebnisse innerhalb der Malerei) kann ebenso ein Schwindel sein wie die Malerei der vergangenen Jahrhunderte. In beiden Fällen ist es möglich, dass sowohl die Gesellschaft der jeweiligen Zeit verlogen war, wie auch der Künstler. Ich glaube nicht, dass es da eine Fortschritt gibt: die Gesellschaft, wie auch der Künstler bewegen sich nur auf der Spitze der Vergangenheit. Kein Maler darf von sich mit Recht sagen, dass das, was er tut, von Bedeutung ist. Tritt er als Prophet auf, ist er ein Ideologe. Beides reicht nicht aus, um ein Bild zu machen. Schließt er sich der Gesellschaft an, gleicht er einem Geisteskranken, der freiwillig um die Einweisung in eine Heilanstalt ersucht.

Die Frage "Was ist ein Bild" beantworte ich so:

Ein Bild ist ein unabhängiges, ohne Absicht, mit vielen Zweifeln, ohne Hoffnung auf ein Ergebnis gemaltes Geviert. Wer unter solchen Bedingungen einige Jahre an einem "Bild" arbeitet, wird erfahren, ob ihm die Rolle zufällt, dieses Bild zu "gestalten". Die Gesellschaft wird diese Tat im negativen oder positiven Sinne an sich selbst nachvollziehen.

Seit fünfundzwanzig Jahren male ich mit mehr oder weniger Freude. Als ich damit anfing, habe ich nicht daran gedacht, dass dies später zu einer Frage meiner Existenz wird. Heute bin ich darüber erstaunt, wie leichtsinnig ich damals war. Eine Menge Bilder – oder wie soll ich sie nennen? – wurden in dieser Zeit von vielen Künstlern gemacht. Das ist sehr beruhigend, denn ich stehe mit meinem Talent so nicht ganz allein da.
Etwas später ist mir dann aufgefallen, dass das Bild von "morgen" bereits schon heute der Vergangenheit angehört, und, was noch schlimmer ist, dass es möglicherweise als ein Irrtum aufbewahrt wird.
So macht man sich Gedanken aus Zeitvertreib.

Wenn ich zu meinen Bildern etwas sage, so möchte ich damit nicht die vielen Fehler kaschieren, die ich gemacht habe und mache, sondern der Arbeit eine Position geben – meine Position. Ich füge noch hinzu: welche Position (wenn überhaupt) mir ein anderer Mensch oder gar die Gesellschaft gibt, ist für mich unwichtig.

Das Tafelbild ist für mich der Rahmen , in dem ich mich bewege. Ich übe mich darin. Es ist eine Frage der Disziplin, zu erkennen, welchen Radius um sich selbst man wahrnehmen kann, füllen kann. Der "Raum", in dem ich mich bewege, muss meine "Maße" haben. Diesen Raum zu dehnen: ein bequemer Weg. Meine Arbeit befindet sich so sehr in meiner Nähe, dass sie mir gelegentlich unerträglich wird. Ich kann sie dadurch aber übersehen.

Meine Beziehungen zur Zeit und zur Umwelt bestimmt das gleiche Maß. Die Gesellschaft übt keinen Einfluss auf mich aus, auch möchte ich mit meiner Arbeit die Gesellschaft nicht beeinflussen.

Meine Arbeit an den einzelnen Tafeln dient lediglich der Übung auf das Werk hin. Dieses Werk ist eine Vorstufe auf das Bild hin – die Szene, das Thema, den Inhalt. Das alles bedarf einer Klärung, bedarf der Zeit. Das "Ergebnis" ist noch nicht da. Deshalb ist diese Arbeit nicht aktuell, will es auch gar nicht sein. Wenn ich vom Werk spreche, so meine ich nicht das "Hauptwerk". Das im Sinne eines Einzelbildes gemalte Bild ist lediglich an die Zeit gebunden, in der es entstanden ist. Das Werk nicht. An ihm – in welcher Zeit es auch entstanden sein mag – können wir uns selbst erkennen, es macht uns existent. Nicht umgekehrt.

Heinrich Richter