Katalog Wolfgang Zeissner 1971
Galerie Lietzow

Wolfgang Zeissner – Rhapsodie der absurden Realität

I.
Wolfgang Zeissner ist jung im Feld der Künste. Seit einem Jahr taucht sein Name auf. Zwei Ausstellungen der Galerie Lietzow stellten seine Arbeiten erstmals in Berlin vor. Innerhalb der Ausstellung "Ausgewählte Handzeichnungen und Aquarelle I" Anfang 1971 bot ein halbes Dutzend Zeichnungen eine erste Information. Im August dieses Jahres gab eine Doppelausstellung umfänglichen Einblick in das druckgraphische Schaffen des Künstlers.

Die Resonanz des ersten Jahres ist überraschend. Zeissners Werke fanden Eingang in zahlreiche private Sammlungen, und als erste öffentliche Sammlung hat die Staatsgalerie Stuttgart das außerordentliche Talent dieses Malers durch einen Ankauf gewürdigt.

Mit der gegenwärtigen Ausstellung werden nun zum ersten Mal Gemälde von Wolfgang Zeissner gezeigt.

II.
"Deutsche Bilder" – so der Titel der Ausstellung, der so verstanden werden darf und soll, wie ihn ein unvoreingenommenes Gemüt nach Sicht der Bilder ohnehin versteht: ironisch, zumindest heiter, auf keinen Fall als Aushängeschild eines nüchtern-ernsten Bild-Berichtes zur nationalen Lage.

Doch, wo in der neueren deutschen Kunst gab es soviel deutsche Landschaft, soviel deutsches Weib und deutsche Mann – soviel von deutscher Sinnesart und Redlichkeit? soviel von deutscher Tüchtigkeit und deutschen Taten-Optimismus, von deutschem Drang in nahe Fernen und in ferne Nähen – von deutschen Landen, Auen, ungetrübten blauen Augen? Wo ließ sich deutsche Art so prächtig prall bestaunen?
Wo sonst auch in der neueren deutschen Malerei lässt sich Heiterkeit so offenbar genießen? Heiterkeit ohne den faden Beigeschmack von plattem Witz und losem Gag. Fritz Köthes Bilder wurden einmal als Malerei der neuen Heiterkeit bezeichnet. Eine Deutung, der Wieland Schmied später widersprach. Sinnvoll wird diese Kennzeichnung, wenn man sie auf die Arbeiten von Wolfgang Zeissner anwendet. Zeissners Heiterkeit bricht aus den Bildern so frei und vital hervor, wie es im Bereich der ernstzunehmenden Bildenden Künste nur selten der Fall ist. Botero wäre hier allenfalls zu nennen – vielleicht noch der Engländer David Hockney.

Nicht intellektuelles Kalkül formiert diese Heiterkeit.
Mit angewandtem Humor haben Zeissners Bilder nichts gemein. Heiterkeit ist eine in Zeissners ausgewogenem Temperament begründete vitale Äußerung. Und, wie bei aller rechten Heiterkeit, schwingt auch hier immer ein Hauch elegischer Schwermut mit. Zeissner als drallen Positivisten zu sehen, hieße unsensibel sein für die Modulationen, für die vielfältigen Differenzierungen einer hochentwickelten künstlerischen Sensibilität.

III.
Zeissner ist Erzähler. Er berichte von Menschen, von Landschaften, von Dingen und ihren ungezählten Verbindungen. Er zitiert Realitäten – vergangene und gegenwärtige, vorhandene und fiktive -, er addiert sie, verknüpft sie zu Bild-Legenden von oftmals absurder Wahrhaftigkeit.

Typisierungen, Stilisierungen und Kürzel haben hierbei ein ikonographisches Konzept von äußerst persönlicher Prägnanz geschaffen. Aus ihm heraus formieren sich subjektive Mythen und Anti-Mythen. Unterbewusstsein, Unterschwelliges verschmilzt mit Erfahrenem, Erlebtem, Gesehenem. Dieser Prozess der künstlerischen Symbiose entspringt einem Bewusstsein, das in gleicher Weise Realitäten wie Irrealitäten registriert und ihnen gleiche Wertigkeiten zumisst. Katalysator ist das malerische Tun.

Zeissners Bilder entstehen immer ohne vorgefasstes Programm, ohne Vorentwurf. Die Leinwand wird von Mal zu Mal aufs neue Ebene des künstlerischen Abenteuers. Zur Verfügung stehen allein Pinsel und Farbe und... das schier unerschöpfliche Reservoir der persönlichen künstlerischen Ikonographie, der eigenen stilistischen Typologie.

Malerische Spontaneität und ein sorgsames Abwägen der inhaltlichen Formulierungen, sensible Nuancierung und als Kontrapunkt die leuchtende Farbigkeit verleihen Zeissners Bildern zugleich visuelle Frische und Intensität.

Urban sind Zeissners Landschaften nicht. Schwarzwald-Reviere, Wiesen, Gärten, Äcker, oder aber Wüsteneien und meer- und himmelumspülte Strände sind seine Schauplätze menschlicher Begebenheiten und Begegnungen. Häufig liefert auch nur ein optisches Geviert, ein rein malerisches Gehäuse, den Spielplatz der Ereignisse. auch die ins Bild tretenden Gestalten scheinen nicht Städten zu entstammen. Ihre Physiognomien sind bäuerlich derb und hölzern, stereotyp. doch – und hier führt Zeissner die Idylle ad absurdum – das Spiel ihrer Gebärden zelebriert Empfindsamkeit, ja höfische Geziertheit. Die Naivität der Erscheinung wird unterminiert von nervigen Sensibilitäten und vom Ideen-Spiel eines intelligiblen Manierismus. Und, da entdeckt man plötzlich überall im anfangs so balsamisch sättigenden Frieden der Idylle die Spuren der Desillusionierung und der Inflationierung vertrauter Wertigkeiten.

Resignation und Aggressivität kommen nicht inhaltsbestimmend zum Vorschein. Desillusion und Inflationierung sind lediglich Ausgang zu neuen Abenteuern, zu neuen Idyllen. In ihm etabliert das Spielerisch-Absurde seine sonderbaren Mythologien.

Generell: Als Maler ist Zeissner Rhapsode der absurden Realität. Er öffnet, wenn er die Tür zu manchem Gärtlein aufmacht, gleich einen ganzen prachtvollen Himmel an künstlerischem Selbstverständnis. Zeitkritik, oder besser Zivilisationskritik, und auch sie wäre wahrzunehmen, trägt hier keine mörderischen Klingen hinter dem Schild. Sie setzt mit der Konstatierung des Übels auch schon das Gegenmodell.

Nicht nur eine Malerei der neuen Heiterkeit ist in Zeissners Bildern zu finden, sondern eine Malerei der neuen Freiheit. einer Freiheit, die nicht an der Fülle überbrachter und neu visierter Möglichkeiten krankt und leidet, sondern die sich als selbstverständliche geistige und künstlerische Position stellt und gelegentlich gar zu feiern weiß.

Godehard Lietzow