Katalog Yuri Kuper 1974
Galerie Lietzow

Text Heinz Ohff

Vor Yuri Kupers Bildern
Fragen nach der Existenz der Wahrheit
oder Die Absurdität der Dinge


Die Möbel, die da so undinglich und schemenhaft auf seinen Bildern und Blättern zu sehen sind, haben früher tatsächlich in seinem Moskauer Atelier gestanden. Sie stammten, woher auch hierzulande das Interieur vieler junger Leute stammt: vom Sperrmüll.
Yuri Kuper ist 34 Jahre alt, gehört der nostalgischen Generation an, aber ist trotzdem kein nostalgischer Maler. Die eklektizistischen Wohnmonstren, Stühle mit gedrechseltem Zierrat, Sofas mit Plüsch-Troddeln, schwere alte Standuhren und Seidenbefranste Lampenschirme, sind keine Symbole für irgendeine gute, alte Zeit. Sie sind freilich befrachtet mit Erinnerungen, mit Vergangenem, pathetisch gesprochen: mit Schicksal. Und in gewisser Weise mag an ihnen das Herz des jungen Malers jüdischer Herkunft gehangen haben und hängt es immer noch. Sein erster Roman, "Holy Fouls in Moscow", was man annähernd als "Gammler in Moskau" übertragen könnte, hätte beinahe einen anderen Titel bekommen, nämlich "Hommage to a Chair", Hommage auf einen Stuhl (was auch sein Inhalt sein soll, und was den Inhalt mancher seiner Zeichnungen ausmacht) – trotzdem: die Gegenstände und Dinge sind nicht vorderrangig in Yuri Kupers Malerei. Sie markieren eher einen Raum von beschränkten und oft fest umrissenen Maßen, eine Bühne, die jedoch unversehens in Landschaft übergeht und in pures Licht. Nicht ihr Dasein als Objekt wird dargestellt, sondern die Atmosphäre, die sie um sich verbreiten, die alten Stühle, Sofas, Tische, Sessel, Lampenschirme. In Wirklichkeit handelt es sich wohl um Relikte von Gegenständen, wie auf der imaginären Bühne und in der ebenfalls imaginären Landschaft Relikte von Gelebtem vorhanden geblieben sind, angedeutet in zarten Aktfiguren, Mädchenpopos (fein geformt und leicht mondän) und verhalten gespreizten Schenkeln.

Zusammen mit weiblichen Requisiten, die mitunter riesenhaft vergrößert, häufiger aber klein und unscheinbar, immer jedoch unübersehbar überall auftauchen, Haarnadeln und Sicherheitsnadeln, bilden die Lichttraumlandschaften mit Möbel-Reliquien und den geisterhaft hingehuschten Akten ein imaginäres Theater. Sanfter atmosphärischer Surrealismus, Sperrmüll aus dem Unter- und Unbewussten.

Gezeichnet und gemalt ist das kostbar und sparsam. Kostbar: Kuper verwendet gern Seide als Malgrund. Die Farben schimmern auf ihr wie Perlmutt. Sparsam: Kuper deutet eher an, als dass er etwa ausdeuten würde. Auf die Grundierung setzt er nur wenige farbige Umrisse. Transparente Überspitzung mit Temperafarbe lassen sie wie durch einen Gazeschleier erscheinen. Tinten-, Blei und Silberstiftstriche ergänzen das Interieur; Vibrationen der Gegenstände (und der surrealen Geschehnisse, die sich um sie herumlegen) sind ihr Thema, weniger die Gegenstände selbst.

Das unterscheidet Kuper von den Surrealisten und Realisten heimischer Prägung. Der an der Moskauer Staatsakademie ausgebildete Russe, der 1972 nach Israel auswandern durfte und von dort nach London weitergezogen ist, hat in der UDSSR illustriert (vorwiegend Literatur jüdischer Autoren) und drei Bühnenbilder gestaltet: eine schon alte russische Tradition, die die "angewandten" niemals so streng getrennt hielt von den "freien" Künsten, wie es bei uns der Fall ist. Jetzt, als "freier" Maler, nutzt Kuper diese Tradition.


Er illustriert seine eigenen visuellen Vorstellungen auf einer gedachten Bühne. Die Möbel von damals sind seine Requisiten – sie verschwimmen in der Erinnerung und bleiben dadurch Gegenwart. Häufig findet sich Schrift in den Bildern und durchbricht – gewaltsam, als sollten alle Spuren von Melancholie vertrieben werden – die Poesie, die alle seine Bilder beherrscht. ein Stuhl wird als "Stuhl", ein Sofa als "Sofa" vermerkt. Anweisungen an unsichtbare Bühnenmaler und an die tatsächlichen Betrachter. Es handelt sich zwar um entfernte, phantastische, gedachte, geträumte Räume, aber diese beinhalten nicht weniger Wirklichkeit als die, in denen wir täglich leben. Kuper ist ein Surreal-Poet, der seine Geschichten und Gesichte auf die Erde zurückholt. So flüchtig alles sein mag, was er schildert, so real ist es doch.

Ahnherrn für solche Art von Traumrealismus lassen sich am Ende finden, auch Vergleiche mit jüngeren Künstlern bei uns – etwa mit Fußmann oder Peter Ackermann -, aber sie führen zu nichts. Alberto Giacometti hat Figuren und Gegenstände ähnlich festgehalten, in einer Art, die von Sartre als "Gegenformel... zu Menschen und Gegenständen" bezeichnet worden ist. Kuper schätzt Giacometti, mit ihm hat er jene Distanz gemein, die er zwischen die Dinge und die Betrachter legt, die er auch selbst von seiner Thematik hält.


Die Frage aber, die sich vor den Bildern erhebt, zielt auf die Existenz des Dargestellten: Ist es Wahrheit? Und dann: Welche Wahrheit? Die des Tatsächlichen oder die des Traums? Lässt sich beides überhaupt streng voneinander trennen?
Eine zweite Frage dürfte die nach der Absurdität allen Geschehens sein. Die Aura, die die alten Möbel, die die Räume und Raumlandschaften um sich verbreiten, lässt sie sich mit Vernunft, Verstand, rational erklären?

Wieviel Wahrheit an den Dingen ist die wir täglich sehen und wie viel Absurdität im Leben, das wir leben, wie vor uns unzählige Leben gelebt worden sind, das zu beantworten kann nicht Aufgabe eines Malers sein. Nicht einmal die Philosophen haben darauf eine alle und alles befriedigende Antwort gefunden. Aber die Frage (oder die Fragen) zu stellen, sie optisch zu formulieren und sie dem Betrachter bewusst zu machen, dürfte eine der dauernden Aufgaben dessen sein, was wir Kunst nennen. Kuper erfüllt sie auf eigene, unabhängige und überzeugende Art. Als Russe, Jude, Weltbürger ist er ein Maler, ein Poet, Gleichnissetzer des Existenziellen.

H.O.