Katalog Ursula Sax 1979
Galerie Lietzow

In den letzten Jahren spielen Architektonisches und Architektur in meiner Arbeit eine immer größere Rolle und zwar in dreierlei Hinsicht. Architektur als Plastik im großen Maßstab vermittelt mir seit langem wichtige räumliche Erfahrungen und konfrontiert mich immer neu mit der Realität des Raumes. des Räumlichen. Sie lehrt und schult das Gefühl für Maße und Maßstäbliches, für Proportionen.

Sodann die Tektonik oder Konstruktion einer skulpturalen Form – Skulptur als Architektur – und weiter Aufgaben und Auseinandersetzungen in konkreter Zusammenarbeit mit Architekten.

Gebäude wie der Dom von Pisa, Als Skulptur auf einer Wiese – einer begrenzten Plattform – der Dom von Florenz, mit dem Baptisterium davor, der Marktplatz von Siena, der Petersplatz in Rom, eine Stadt wie Vicenza, das alles sind raumsinnliche Ereignisse mit den Mitteln der Architektur. Gebäude als Plastiken, sozusagen als Solisten gegenüber einem Chor von Häusern, die in Straßenzeilen ein Ensemble ergeben und im Ensemble, als Straßenflucht oder –schlucht, wieder Räume schaffen.

Der stärkste Eindruck war Ägypten, die ägyptische Architektur. Das Dichteste dort Karnak, groß auch im Format, unglaublich stark und gegenwärtig.

Ebenso als "Skulptur auf der Wiese" oder als räumliches, ordnendes und raumschaffendes Ereignis empfinde ich Bäume auf einem Platz, gerade auf einem unbebauten Platz, in einer Stadtanlage, oder wenn sie Straßen flankieren, Alleen bilden. Auch die Stämme in einem Wald, erlebt im Durchgehen oder Durchfahren, Vorbilder, Vorformen von Säulenarchitekturen und Kolonnaden. Im Schwarzwald kenne ich steile Waldpartien, wo man im dämmrigen Licht zwischen den hohen, parallelen Säulen der Stämme steht und die Helligkeit des Tages nur gebrochen, durch das Tannengeäst gefiltert, hereinkommt. Das ist wie in einer gotischen Kathedrale.

Meine Arbeit hat sich immer mehr wegentwickelt von der Kernskulptur zur räumlichen Konstruktionen, Strukturen, Tektonischem.
Mich interessiert Bauen – Baumaterial – Zusammengefügtes.

Seit Anfang der 70er Jahre arbeite ich viel mit Holz. Das ist ein konstruktives Material, mit dem ich gern umgehe, und das ich hoch achte, aber es könnte genausogut Eisen sein. Eisen hat dieselben Möglichkeiten und Qualitäten, in Bezug auf das, was mir wichtig ist. Ich benutze Holz, aber ich meine es nicht. Es ist mir Mittel zum Zweck, Räumliches zu bauen, und damit es ein gutes Mittel ist, muß ich auch zweckmäßig mit ihm umgehen, aber ich meine nicht das Holzhandwerk. Ich nehme absichtlich das einfachste Holz, das es gibt, vom Holzplatz; Kiefer oder Fichte, ich will nicht Materialwert. Ich wehre mich gegen die Festlegung auf Holz oder gar Holzbildhauerin. Ich habe jahrelang mit Eisen gearbeitet und geschweißt, aber das ist sehr schwere Arbeit, auch schwer an Gewicht, ich konnte da nur kleinere Formate bewältigen. Holz ist mir freundlicher, und ich kann damit ebenso gut was mir wichtig ist realisieren.

Von meiner Arbeit gab es immer Phasen, wo ich naturbildbezogener und dann wieder -entfernter arbeitete. Im Augenblick ist da kaum Anthropomorphes oder Vegetatives abzulesen oder zu assoziieren. vor ein paar Jahren, als ich anfing mit dieser Technik des gezimmerten Holzes aus Brettern und Kanthölzern, da entstanden die "Danzantes", tanzende Figuren, ungefähr menschengroß; dann wurde es wieder zunehmend abstrakter, was es übrigens auch vorher war. aber auch diese Figuren waren unübersehbar gebaut, zusammengefügt, konstruiert. Es hatte sich also nicht das Gestaltungsprinzip geändert, sondern die gestalteten Formen, d.h. das Motiv.

Das Figurative – das gilt auch für die 1974 entstandene "Sambashow", "Merry go round", und "Vogelflug", beide 1975 – war nur Vorwand und Anlass für konstruktive Gebilde im Raum. Andererseits kommen die scheinbar ganz abstrakten Formen immer noch oder weitgehend aus Anregungen der Erscheinungswelt um mich er. Viele meiner Arbeiten sind auf Eindrücke von Reisen zurückzuführen, aber auch in der täglichen Umgebung gibt es ständig neue Faszinationen, Anstöße, Anregungen, die mich solange fesseln, bis mir eine Umsetzung gelingt. Ist das geschehen, rücken sie wieder zurück, aus meinem Blickfeld heraus.

Vor einiger Zeit fielen mir plötzlich Zäune auf, Zaunartiges, Gitterwerk, Gartenzäune, Wiesenumzäunungen, Schneezäune. Zarte, durchlässige Muster aus Holz, die in der Landschaft stehen und sie gliedern.
Das Gliedern von Räumen – oder das Schaffen von Räumen durch Gliederung, das interessiert mich im Augenblick. Dann gibt es in der letzten Zeit das Thema Hängen und Abhängen. Von einer Wand, einem Gerüst, einer Decke. In dem Zusammenhang sehe ich dann überall Dinge, die hängen, die ich vorher nicht sah, oder ich sehe sie anders, z.B. Wäsche auf der Leine, Fahnen, Tücher, Vorhänge, Zweige, Blätter, selbst Schindeln an einem Haus, fallendes Wasser, auch Wäscheständer, Richtbäume.

In den letzten 2 Jahren habe ich mich vorwiegend mit architekturbezogenen Aufgaben beschäftigt, mit Entwürfen – auch Brunnenanlagen – für bestimmte Plätze und Gebäude und mit Realisierungen dieser Entwürfe. Das sind Dinge, die andere Zeiträume beanspruchen, als die freie Arbeit im Atelier.

Die hier abgebildeten Arbeiten sind während dieser Zeit entstanden, scheinbar beiläufig, wie Niederschriften. Sie erscheinen nicht reich, kompliziert und vielfältig, sie sind sehr einfach.

Ich sprach von meinen großen Eindrücken in Ägypten – eine Reise vor 2 Jahren. Die Tempelanlagen, die kolossalen Säulen, Säulenreihen, die Tore und Torfolgen; als lyrische Variante die Scheintore in den Gräbern, die den Seelen der Gestorbenen ermöglichen sollen, das Grab, in Gestalt des Totenvogels, zu verlassen und wieder zu betreten.

Diese Begegnungen habe ich versucht, auf ganz simple Weise wiederzugeben, Notizen für mich, für andere.

Ursula Sax, August 1979