Hella Santarossa 1982
Galerie Lietzow

Text von Eberhard Roters

Malen ist eigentlich eine ganz selbstverständliche Sache – ungefähr ebenso selbstverständlich wie Liebe oder, beispielsweise, Frühstück oder Herumlaufen. Warum nicht viel mehr Leute malen, als das der Fall ist, warum nicht alle Leute malen, das ist im Grunde nicht recht einleuchtend. Wahrscheinlich tun sie es deshalb nicht, weil sie meinen, sie hätten was Besseres zu tun, (was Besseres als Liebe und Frühstück und Herumlaufen), und weil sie deshalb nicht wissen, was sie mit ihren Händen anfangen sollen und mit ihren Füßen und mit ihrem Bauch und mit ihrem Herzen und mit ihren Gefühlen und mit ihrer Einbildungskraft. Was aber ist schon etwas Besseres als Malen?

Hella Santarossa tanzt ihre Bilder. Tanzen – das kann alles Mögliche bedeuten: Menuett und Sarabande, Rumba, Tango, Walzer, Mary Wigman, Harald Kreutzberg, Cunningham, Jazz, Rock und Blues. Das alles ist es nicht. Das, was Hella Santarossa tanzt, ist – auf ein einziges Wort gebracht – Leichtigkeit. Es ist eine wach kalkulierte Leichtigkeit, es ist die Leichtigkeit des Selbstverständlichen. Hella Santarossa tanzt das, was jetzt eben so los ist; sie tanzt den Tag, sie tanzt nicht Gestern, sie tanzt nicht Morgen sondern den heutigen Tag. Das Selbstverständliche kann dabei auch das Künstliche sein, was daran liegt, das es der heutige Tag ist, der das Künstliche liefert. Das Künstliche kann ja auch das ganz Natürliche sein – heute.

Rein technisch geht das so vor sich, dass Hella Santarossa eine Leinwand, meist Nessel, die so groß ist, dass sie dem natürlichen Umfang ihrer Körperbewegungen genügend Flächenraum bietet, auf einen Keilrahmen gespannt, dass sie dann das Bildviereck ungrundiert an die Wand hängt oder einfach nur hinstellt. Dann baut sie die Farbtöpfe rings um sich auf, setzt sich Kopfhörer auf die Ohren und beginnt durch Rhythmen von Schlagermusik eingestimmt dem tänzerischen Gestus ihrer Körperbewegung folgend, zu malen. Auf solche Weise sind die Schlagerbilder und die Teenie-Schlagerbilder entstanden. Zur Erläuterung dessen, was damit gemeint ist, zitiere ich einige Bemerkungen, die mir Hella Santarossa auf einem Zettel mit Schreibmaschinennotizen mitgegeben hat.

"Too much". Wörter, die in dem Elvis-Presley Schlager vorkommen und ihn in seiner Endzeit beschreiben, Herbst 1981, Eckbild. "Pepito". Der Schlager "Pepito", der aus den 50er Jahren stammt, dies ist die erste Abwandlung der "Pepito"-Bilder (insgesamt 3), Frühjahr 1981, Berlin. "Corinna, Corinna, Where have you been". Dies ist das zweite Werk von der Teenie-Serie. Es ist zu dem Lied entstanden von Bill Haley "Corinna", 1981, Berlin, Sommer. "He-Mambo-Rock" und "Zwei Königskinder". Das erste Bild wurde zu einer Mambo-Musik entwickelt, das zweite erinnert an das altbekannte Lied "Es waren zwei Königskinder, die....", beide, insbesondere das zweite, malte ich, nachdem ich einen ordentlichen Krach mit meinem Freund hatte und glaubte, jetzt wär's um uns geschehen, zwei Welten, die nicht aneinander rühren können, Berlin 1981-1982. "Titten, Türme, Tortellini". Eckbild, 1981, Florenz. Es ist das erste Bild, das in der Villa Romana entstand.
"Meet me at the corner", Eckbild, 1981, Florenz. Vorstudien zu diesen Bildern machte ich in Berliner 4-Uhr-Nachmittagsdiskotheken, wo sich die Teenager treffen.

Jene wenigen Erläuterungszeilen zeigen in aller Sprödigkeit eine Eigenschaft, die auch auf die Bilder zutrifft: Atmosphäre.
Sie verraten Poesie, eine Poesie mit Understatement, die Poesie des Selbstverständlichen. Das ist die Poesie vom heutigen Tag, jetzt eben gerade hier in der Disco in Berlin. Man muß dazu wissen, dass Hella Santarossa genauso malt, wie sie aussieht oder umgekehrt gesagt, genau so aussieht wie sie malt.

Sie wohnt und arbeitet in Berlin in einer großzügig geschnittenen Altbauwohnung an der Knesebeckstrasse mitten in der City. Der größte Raum, das sogenannte Berliner Zimmer, ein Durchgangszimmer mit drei Türen und mit dem Fenster zum Hof, ist ihr Atelier. dort malt sie, und die fertigen Bilder stehen, zu luftigen Stapeln geschichtet, in einer Ecke. Hella Santarossa hat eine Tochter im Alter von jetzt dreizehn, vierzehn Jahren. Durch sie ist sie in die Petticoat-Szene der Teenies von heute eingeweiht. Sie ist mit deren Problemen ebenso vertraut wie mit ihren Schlagern und ihrer Vorliebe für die fünfziger Jahre. Von daher hat sie Anregungen für ihre Malerei gewonnen.

Hella Santarossa hat in Berlin studiert, sie kommt aus der Klasse von Karl Horst Hödicke, einem Talentstall, aus dem auch die profiliertesten Vertreter der "Heftigen", der Berlin "Neuen Wilden" hervorgegangen sind. Hella Santarossa ist indes, genau gesehen, weder wild noch heftig, sondern sie ist, der Art und Weise ihrer Hervorbringung entsprechend, tänzerisch. Zwar können auch Tänze wild und heftig sein, sie können dabei zugleich sanft und locker sein, doch das Wesen des Tanzes besteht im Einfangen der Ausschweifung in den Rhythmus, der zwischen den Extremen der gestischen Bewegung den Ausgleich herbeiführt. Heftigkeit und Lockerung, Wildheit und Ausgleich: der tänzerische Gestus in den Bildern von Hella Santarossa zeit vor allem EINE Eigenschaft; er ist gelöst. Im ausgleichenden Wesen des Rhythmus, auch des wildesten, liegt ein Geheimnis. Er lässt sich nicht ohne Selbstüberprüfung beherrschen. Rhythmus ist daher auch der Genuss der eigenen Emotionen aus der eigenen Distanz. Dieses Moment des bewussten Kalküls im getanzten Bild vorgetragener Emotionen spielt in Hella Santarossas Arbeiten eine entscheidende Rolle – es macht deren Eigenart aus.

In der "Galerie am Moritzplatz" in Kreuzberg, deren Namen als erster Austragungsort der Berliner "Wilden" weithin bekannt geworden ist, zeigte Hella Santarossa 1979 eine ihrer ersten Einzelausstellungen, expressiv auf die Leinwand gesetzte Bildszenen, Mädchen auf dem Fahrrad, grün, gelb, rot vor Schwarz. aber erst der Aufenthalt in San Francisco in den Jahren 1979 und 1980 brachte ihr die endgültige Befreiung zur eigenen Malerei, zu ihren eigenen Gebärden und zur eigenen Leichtigkeit des Tänzerischen. Erstes Ergebnis jener künstlerischen Selbstentdeckung ist der Zyklus der großformatigen Paraphrasen zur Nationalflagge der USA, den "Stars and Stripes". Hella Santarossa hat dazu die Erklärung abgegeben: "Wenn man die Farben der amerikanischen Flagge in ihrer ursprünglichen Menge und im Geist von San Francisco mischt erhält man sehr viel Rosa mit einem Hauch von emotionalem Blau". Das ist ganz Frisco, es ist aber zugleich auch ganz Hella Santarossa; pink, kühles Rosa, warmes Blau, cremiges Weiß, Luft, Wind und Atmosphäre. Die Atmosphäre heißt z.B. "Gründungsstatten/Sandwich", sie wirkt auch tatsächlich farbig essbar, "Ice Cream, You Scream".
Ihre jüngsten Arbeiten, die Ted- und Teenie- und Petticoat-Schlagerbilder zeigen den gleichen zu Helle(a) neigenden farbigen Grundklang, zu Blau und Rot sind weitere bildbestimmende Farbwerte hinzugekommen, ein helles leuchtendes Gelb vor allem und ein Rotviolett mit Abstechern ins Bräunliche. Dazu kommt sehr viel Weiß auf ungrundiertem Nessel, und innerhalb des Weiß bildet sich der Eindruck der Verflüchtigung einer Mischung aus all diesen Farben in einen träumerischen lichten Stimmungsgrund hinein, ganz allein sein mit sich selbst, Petticoat, Teeniestimmung im künstlichen Glitzergewimmel der Disco.

Hella Santarossa bemerkt: "Zu meinen Schlagerbildern 1981. Bilder von der Universalität abgedroschener Hits. Rhythmus und Farbe. – Farbigkeit des Schlagers expressiert den Rhythmus angerissen, die Tanzende rollt durch die Musik. Bilduntergrund in transluzenter Farbe, Leichtigkeit, Umspielung, festgezogen durch die denkende Strichführung, die Bewegung dreht sich um einen festen Punkt, Hand und Bein blockhaft ausgemalt, der Körper löst sich auf, die Hüften schwingen". In den Bildern Hella Santarossas zeigen sich die Erinnerungen an die körperhafte Gegenständlichkeit der Tänzerinnen (und ihrer Tänzer) im diskursiven Fortschreiten einer Auflösung zu reinen Rhythmusfigurationen, Körpergefühl verwandelt sich in Choreographie, Choreographielinien und Rhythmusvektoren setzen das Bild in optische Bewegung, und der Bewegungseindruck ist das, was dem Auge schließlich als Erinnerung an das Bild verbleibt. Das ist ein aus dem Prozess des Malens und der tänzerischen Malbewegung hervorgegangener Auflösungsprozess, der vom Festen zum Unfesten, vom Körperlichen zum Ätherischen führt, ohne sich indes dort zu verlieren, denn die expansive Bewegungstendenz wird immer wieder von neuem eingefangen durch Bildzeichen rational kalkulierter Kontrolle.

Hella Santarossas Malerei ist Beispiel für einen Stil, der noch keinen Namen hat – expressiver Mal-Akt. Der Disco-Traum der Schlager-Teenies ist etwas höchst künstliches und in seiner Künstlichkeit ist er ausgesprochen Trivial, er ist als Gleichnis für das Unerreichbare, das große Glück das alltägliche Ereignis von heute, auf dem Dorf wie in der Stadt – abgedroschen, platt, banal. Die Malerei, die das aufgreift, holt aus der Künstlichkeit die Natur heraus, die Lust zur Bewegung, die Lust zur Selbstverständlichkeit, sich selbst zu erleben, Die Lust zur Unbefangenheit, die Lust zu den Füßen, die Lust zu den Händen, die Lust zum Bauch, die Lust zum Kopf, die Lust zum Herzen, die Lust zu den Gefühlen, die Lust zu den Gedanken, die Lust zu den Einbildungen, die Lust zur Phantasie, die Lust zum Herumlaufen, die Lust zum Frühstück, die Lust zur Liebe, die Lust zum Tanzen, die Lust zum Malen.
Die Lust dazu, das Malen zu malen.

Eberhard Roters