Peter Vogt 1982
Galerie Lietzow

Text von Jens Christian Jensen

Die Malerei von Peter Vogt

Von 1964 bis 1970 hatte Peter Vogt an der Akademie der bildenden Künste in München bei den Malern Jean Deyrolle und Reimer Jochims studiert und dann bis 1972 als Kunsterzieher Bilder gemalt, die das farbdynamische (Deyrolle) und Farbe untersuchende (Jochims) werk seiner Lehrer in strukturierten Farbordnungen weiterzuführen versuchte (im Katalog der Kieler Ausstellung von 1981 ist dies näher ausgeführt). Dann folgten zwei Jahre völliger, künstlerischer Abstinenz. Als Vogt dann wieder 1974 wieder zu malen begann, hatte sich seine Auffassung von Malerei grundlegend gewandelt. Die Lust an der spontanen malerischen Geste, die unmittelbare Übertragung der persönlichen Handschrift ins Bild als dynamische Handlung und als gestaltetes Zeichen stand nun im Mittelpunkt. So entstanden zuerst Landschaften, dann Portraits und Blumenstilleben, schließlich Akte. 1979 hat er zum ersten Mal in München seine Bilder in einer Einzelausstellung gezeigt. Seitdem malt er mit wachsender Kraft und mit einer Besessenheit, die sich selbst nicht vorzeigt, sondern erlöst. Die Themen sind geblieben. Der männliche Akt ist tragende Figur dieser Malerei, vereinzelt werden noch Blumen gemalt, seit kurzem Tierschädel.

Ja, ich weiß, von "Neuen Wilden" kann man bald nichts mehr hören, nichts von Expressivität mit dem großen BUM BUM der Medien, die eine neue Volksnähe wittern, bloß weil Gegenstände wieder Bilder bestimmen, Gegenstände und laute Farbfanfaren und das große Format, das Privatkäufern und Museumsleuten das Fürchten lehrt.
Aber was hilft's: Vogt gehört dieser Bewegung an, die man wohl wieder "deutsch" nennen muß. Sie wurde ausgelöst von Künstlern wie Georg Baselitz, Karl Horst Hödicke, Bernd Koberling, Markus Lüpertz und Norbert Tadeusz. Auch Gerhard Richters Ausschnitt-Abstraktionen und Fiktionen mit ihrer explodierenden Farbigkeit und Dieter Kriegs Wendung zu großen skizzenhaften wie zeichnerischen Figurenmalerei haben zu diesem neuen Mut zum Malen beigetragen. Ob daraus – rückblickend – einmal ein Stil sichtbar werden wird, ob Heftigkeit, die im Expressionismus und bei den COBRA-Künstlern ihre lauten Quellen hat, über den Tag hinausgetragen wird – man wird es sehen.

Gewiss ist, dass es Talente und Begabungen unter diesen Jungen gibt, die sich nun dem ungezwungenen, vielleicht naiven, vielleicht stupiden und ein wenig großspurigen Umspringen mit der Farbe wie befreit hingeben, oft nicht ohne Intelligenz, oft mit Witz und Spaß am Hallodri, oft mit dem sehr ernsthaften Willen, etwas auf eine Weise in den Griff zu bekommen und ins Bild zu setzen, das man elementar nennen muss. Denn das so oft totgesagte Tafelbild kann nicht sterben, solange schöpferische Menschen der Fläche erliegen, die das Beschreiben, das Bemalen, das Bezeichnen und Bekritzeln, das Eingrenzen und das Offenhalten erzwingt. Vielleicht ist der magische Sog, der von Zeichen und Gestalt ausgeht, die der Mensch direkt aus sich über die Hand auf die Fläche setzt, kräftiger geworden im Zeitalter der Medien, die mit Welt-Wirklichkeit immer aus zweiter, dritter Hand bedrängen. Etwas in die Hand nehmen, Hand anlegen, handgreiflich sein, und dies mit der unerschöpflichen wie uralten Materie der Farbe – wer dürfte heute – heute! – solches Vorgehen, Machen, Werken und Begreifen verdammen?

Peter Vogt – ich bekenne es – halte ich für eine dieser Begabungen, für die einzutreten es sich lohnt. "Wild" ist er eigentlich nicht. Seine Malerei wird zwar mit einer freien, spontanen, aus dem Augenblick der Malaktion selbst schöpfenden Handschrift vorgetragen, dies jedoch mit sublimer Differenzierung und mit einer sanften, zugleich intensiven Einfühlung in den Gegenstand. einerseits also sieht man auf den großformatigen, weißgrundierten Leinwänden den angreifenden GESTUS des Malers, der die Lust am Malen und Machen auslebt. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang die schriftartige Strukturierung der Bildfläche mit einem offenbar impulsiv eingesetzten Schwarz führenden Pinsel, der wie zeichnerisch den Umriss der Figur, das Blattwerk der Blumen festlegt.

Andererseits hält sich die Spontaneität am GEGENSTAND – oder sie wird von diesem gehalten -, der der entscheidende bildbestimmende Faktor dieser Malerei ist. Die Akte, deren Umrisse oft vom Dia-Bildwerfer bestimmt sind, erfüllen den Bildplan mit ihrer Körperlichkeit. Sie ist es, die Farbe atmend an sich bindet, atmend, weil der heftige Farbauftrag die Empfindung vermittelt, diese Akte bilden sich eben jetzt beim Betrachten in ihrer Körperlichkeit aus, sie seien es, die die Farbe an sich zögen in einer Bewegung, die wie Einatmen ist. Vogt malt also Körperlichkeit, nicht Gegenstände. Dabei ist es schon in den Landschaften und Blumenstilleben der Jahre 1978 und 1979 offensichtlich, wie hier nicht Realität gemalt ist, nicht eine Ansicht von Wirklichkeit, sondern wie sich eine Vorstellung von Gestalt durch die Handlung des Malens vergegenwärtigt – als verdichtete sich im Malprozess eine Vorstellung von Landschaft und Blumen -, bis sie schließlich "da" ist als für den Betrachter bestimmbarer Bildgegenstand.

Bei den Körpern un ist dieses Vorgehen ganz eindeutig. Ihre Körperlichkeit ist höchstens im Umriss vorgegeben. Nicht Modelle werden in Malerei festgehalten, sondern die Vogt eigene Vorstellung von Körper schlechthin findet durch Malerei zu sich selbst. Das Bild wird also im ursprünglichen Sinne Bild-Körper, es weist nicht auf einen Körper hin, hält diesen auch nicht vor, sondern die Malerei, ihre Farbigkeit, ihr Duktus, ihre vehemente hiebartige Struktur konkretisiert sich durch den Körper, den sie demonstrativ bildet. Nicht Gegenstände sind dargestellt..., sondern Malerei hat sich vollzogen, in dem sie den Körper als formalen Anhaltspunkt benutzt hat. Insofern zieht die Vorstellung von Leibhaftigkeit, die der Künstler besitzt, dieser Malerei das Gerüst einer großen Form ein, an welcher – seien es Akt, Blume oder Schädel – sich Farbe und Handschrift so orientieren, dass sich der Körper beim Malen aus Farbe und Duktus wie aus sich selbst bildet.

Das ist ein starker sinnlicher Vorgang, in erster Linie natürlich für den Maler, aber auch der Betrachter kann, sieht er sinnlich richtig, an einem Prozess teilnehmen, der die Verdichtung zu Körperlichkeit vernünftig offen legt und zugleich als Gefühlseinheit vergegenwärtigt.
Die Körperlichkeit dieser Malerei erinnert an die späten Gemälde von Lovis Corinth, dem sich Vogt (wie überhaupt der Tradition) verpflichtet weiß. Er will sich einordnen, will fortführen, will nicht das subjektive Besondere, nichts Exzentrisches.

Die FARBE, das dritte Element dieser Malerei, variiert Grau und Blau-Abstufungen. Buntwerte werden mit einer Behutsamkeit eingewoben, dessen Sensibilität deutlich macht, dass hier kein Kraftprotz am Werk ist, sondern ein Maler, der Vergeistigung von Materie zum Ziel hat. Die Kühle der Farben hat etwas Schmerzendes, Stichiges. Sie erinnert daran, dass diese Bilder bei künstlichem Licht gemalt sind. Sie deutet aber noch auf andere Zusammenhänge hin: Zweifellos bändigt Vogt seine Farbskala, um den dynamischen Duktus nicht zu überlasten und weiter, um nicht die Körperlichkeit seiner Malfigur ins Reale zu treiben, also zu verfleischlichen. Der Zwang, bestimmte Grundtöne so zu variieren und zu differenzieren, dass der Duktus sinnlich erfahrbar bleibt und das Bild als Gesamtgestalt lebendig und leib-haftig vor Augen steht, hält diese Malerei in der Schwebe. So nimmt man das Ausschnitthafte, Torsomäßige dieser Bilder als gegeben hin. Kein Gedanke an Fragmentarisches kann aufkommen. Es entsteht vor diesen Bildern vielmehr der Eindruck, als holte die Malerei mit kräftigem Gestus die Körper heran wie das Objektiv einer Kamera, und dieser Vorgang des Heranholens ist an dem Punkt unterbrochen, an welchem die klassische Torsoform erreicht ist – das gilt im übertragenen Sinne auch für die Blumenstilleben.

Das Gleichgewicht, zu dem Vogts Bilder jetzt gefunden haben, hat sich zwischen emotionaler Handschrift, Ver-körperung und differenzierter Farbigkeit hergestellt. Dieses Gleichgewicht beruht auf der Ausbalancierung von Gegensätzen wie Beteiligung und Distanzierung, oder Körperlichkeit und Vergeistigung, oder Emotionalität und rationalem Einsatz der Bildmittel, Oder Dynamik in ihrer Konkretisierung und damit Beruhigung in einer großen Form. Die Tendenz zum Geisterhaften, die noch vor einem Jahr durch die kühle, lichte Tonigkeit der Farben spürbar anklang, scheint jetzt gebannt. Vogts Malerei hat zu kräftigerer Farbigkeit gefunden. Und die Körper werden in ihrem Volumen stärker herausgearbeitet als plastische Einheiten. Wie weit der Maler fähig sein wird, die Spannungen zwischen dieses Gegensätzen zu steigern und dennoch bei seiner Sache zu bleiben, der anschaulichen Gebärde körperhafter Malerei, wird sich zeigen. Es wird sich lohnen, diese Entwicklung zu verfolgen.

Jens Christian Jensen