Peter Ackermann 1983
Galerie Lietzow

Text von Manfred Sack

Alles das, was Peter Ackermann bis vor ein paar Jahren radiert, gezeichnet, getuscht und gemalt hat, sollte man ein bisschen vergessen: diese wundervollen, an Wunder vollen Blau-, Stadt- und Stein-Landschaften, virtuos und geheimnisvoll zusammengefügt aus Gegenständen der Berliner Gründerzeit und der italienischen Renaissance. Ganz verlier man sie, natürlich, niemals aus dem Sinn, selbst wenn die Bilder nun nicht mehr Arrangements unter freien Himmeln und in Niemandsländern zeigen, sondern das Innere von Räumen. Denn darin begegnet am vielen alten, so offensichtlich geliebten Versatzstücken aus Villen, Palazzi, vor allem aus Kirchen wieder, Säulen und Pilastern, Bögen und Gewölben, Tür- und Fensterlaibungen mit Giebeln, Gesimsen, Kanneluren, Voluten und Konsolen. Aus ihnen entstanden ganz neue phantastische Räume, angedeutete, vorgetäuschte, unwirklich wirkliche: erfundene Räume. Nur eben sind mit den alten, den schweren wie den leichten Vokabeln der Renaissance-Architektur ganz neue Wendungen, Sätze, Verse gebildet worden.
Das sind keine Reflexionen über religiöse Vorstellungen oder Sehnsüchte, sondern freie Raumspiele, „Mich interessieren diese Räume“, sagte Peter Ackermann. Er malt sie (sich), „weil ich mich darin wohlfühle“. Er sagte: „Ich bin da gerne“.
Es beschäftigt ihn, wie solche Räume konstruiert, wie sie gebildet sind oder sein können. Es fasziniert ihn, sie nachzudenken, neu, ganz anders zu formulieren, ihre Räumlichkeit, die Perspektiven, das Relief, die Schattenwürfe des Lichts darauf. Die Farben auf diesen Bildern sind, verglichen mit den früheren, ein wenig stumpfer, trockener, es sind „maurige“ Farben, man fühlt den Putz mit den Augen. Diese Bilder sind auch nicht mehr so akribisch, so fein, so überaus geduldig gemalt wie vorher, sie geben Einzelheiten etwas großzügiger wieder, auch deswegen wohl, weil übergroße Genauigkeit stets von Langeweile umlauert ist – und das „Richtige“, das Eindeutige ist.

Und so findet man in dieser neuen Bilder-Generation auf einmal Befremdliches, das einen mit hintergründiger Gelassenheit irre macht: Dunkle, manchmal auch helle, fast immer breite Linien geistern in den erfundenen Interieurs herum, bringen sie leicht durcheinander, äffen sie nach, tun so, als setzten sie sie mit geheuchelter Perspektivität fort. Sie machen die Bilder zu rätselvollen Spielplätzen für die Phantasie und die Neugier. Sie erlauben, eigentlich provozieren sie sogar Deutungen; keine wäre ganz falsch, keine ist allein richtig. Nur ist diesen Linien eines gemeinsam: Sie reflektieren architektonische Figuren, verformen sie, es hat auch den Anschein, als machten sie sich – als machte der Maler sich – lustig über ihre geo- oder sterometrische Abkunft und das feierliche, nicht immer gesprächige Gemäuer und seine klassischen Züge. Tatsächlich wirken diese Linien-Figuren, als habe „Geisterhand“ sie dahin gebracht, so heimlich wie der Sprayer von Zürich. Freilich teilen sie das Geheimnisvolle noch mit etwas anderem: mit Flächen, die wie Linien scheinbar verfremdete Abkömmlingen von Säulen, Kapitellen, Giebeln, vor allem von Wänden sind. Alles an ihnen ist eigenwillig: die Gestalt, die sie bilden, ihre Konturen, ihre Struktur, ihre merkwürdig lebendige monochrome Farbigkeit: milchgrau, gelbgrau, meist blaugrau. Diese Bilder, die – mehr als die Zeichnungen und die Aquarelle – auf den ersten Blick noch so still sind, so kirchenfeucht oder so staubtrocken, halten einen beim Betrachten plötzlich auf, ziehen einen ins Innere, so dass man immer neugieriger wird und immer wieder zurückkehren möchte.

Da ist, zum Beispiel, ein überbreiter, gedrungener und flacher, dicht kannelierter Pilaster, der auf einer Seite anfängt, sich umzukrempeln und aufzulösen, und dem von den Seiten – eine Vision? – seltsam geränderte Flächen näher rücken.
In einem anderen Bild sieht man einer eigenartigen Metamorphose zu: Die tiefe Laibung eines giebelgekrönten Fensters löst sich am Rande auf, fließt von hinten in einen schmalen, sich in Flächen verwandelnden Pilastern gestütztes Gewölbe über, während sich auf der anderen Seite eine helle felsige Fläche bizarr türmt; ein kantiger Schlitz mit einem Zacken macht uns weis, es handele sich um ein räumliches Gebilde.
Dieser Widerspruch ist so gemeint. Peter Ackermann spricht von einer „flächigen Räumlichkeit“, die seinen neuen Bildern eigentümlich sei. Und wichtig sei, dass es sich um Flächen handelt, die in diese Räume eindringen, nicht um „Löcher“, in die sich Räume verlieren: Sie sind da, sie „stehen“ da, sie „schieben sich“ herein.
Man empfindet beim Betrachten viele kleine Verwirrungen. Das Auge reibt sich, manchmal belustigt, an den Ungewissheiten, es eckt an, gleitet aus, fängt an sich wohlzufühlen. Das Spielerische macht den feierlichen Kulissen schnell den Ernst streitig. Man wundert sich viel. Und da mit dem Wundern das Philosophieren beginnt, ist Langeweile nicht zu fürchten.

M.S