Hermann Schenkel 1984
Galerie Lietzow



Text von Verena Tafel

Augen-Blicke

Hurtigen Schubladenklassifiktationen, eilfertigen Etikettierungen entzieht sich Hermann Schenkel. Festnageln lässt er sich nicht. Formalisten und Eindeutigkeitssuchern schlägt er Schnippchen. Auf Fotos zeigt er sich in Ausschnitten nur, verdeckt oder verstellt. Biografisches liefert er in lapidaren Kürzeln, amüsiert sich über indiskrete Neugier. Erwartungshaltungen dreht er lange Nasen, ein Lieblingsspiel, das freilich auch Selbstschutz bedeuten kann, die Abwehr gegen Einleibungsversuche, gegen Abstempelungen, gegen Klischees, die Betrachteraugen verengen.

Denn Hermann Schenkel verändert sich, will verändern, verlässt Wege, auch wenn sie Erfolg versprechen, legt Themen beiseite, wie die Architektur, wie die erotischen, vor allem homoerotischen Phantasien.
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Abbildung 1


Die Zeichnungen dieser Ausstellung, entstanden von September 1983 an bis zum Februar 1984, zeigen einen anderen Stil, neue Motive, sie zeigen aber auch Hermann Schenkel im Umbruch. Geblieben freilich ist die superbe Graphische Meisterschaft des begnadeten Zeichners. Der Strich, der einst federleicht Akte mit phänomenaler Geschmeidigkeit auf das Papier hauchte, der Strich ist jetzt fester geworden, zupackend und kräftig, mit Öl- und Pastellkreide. Im Mittelpunkt steht nicht mehr der Körper, die Konzentration richtet sich nun auf die Köpfe – auf die Augen. Die fesseln, saugen sich fest, lassen nicht los, gehen nach, verfolgen. Blicke, die in Sekundenbruchteilen erhascht, in Momente registriert werden, Blicke von grenzenloser Einsamkeit, von traumverlorener Versunkenheit, diese Blicke hält Schenkel fest.
Die leise Melancholie, die lauernde Schwermut steht in den Gesichtern der jungen Männern geschrieben, derjenigen coolen Typen, die ihre Lässigkeit in nonchalanten Posen zur Schau stellen können, die um ihren Charme und ihre Attraktivität wissen. (Abbildung 1)
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Abbildung 2



Diese Haltungen, auch wenn sie noch so sehr erotische Ausstrahlung verbreiten, die Körpersprache, die sexuelle Mitteilungen signalisiert, sie widerspricht den Gesichtsausdrücken, und auf jenem Widerspruch legt Schenkel seinen Finger. Dass er dabei den Zuschauer in die Rolle des Voyeurs drängt, ihn einbezieht in eine Spannung, die zwischen zwei Figuren knistert, ist eine kleine boshafte Frechheit, mit der Schenkel seinen Betrachter hinterrücks überfällt. Das Publikum sieht sich hin und wieder an die Stelle eines Spiegels gesetzt, in dem sich ein Ankleidender prüfende Blicke zuwirft (Abbildung 2), in dem sich die Augen des Friseurs mit denen seines Kunden treffen. Und es muss nun diese Blicke aushalten, ebenso wie die Blicke derjenigen, die warten, auf Stühlen, auf Polstern, an Theken, in Türen mit einem Hunger in den Augen, der sie rastlos macht und zugleich doch lähmt. Auf einigen Blättern steigert Schenkel diesen unhörbaren Schrei noch. Der Gesichtsausdruck wiederholt sich, auf Büsten, auf Zeichnungen im Bild, in Köpfen, die den Hauptpersonen zuschauen, beobachten, so wie diese den Betrachter und der Betrachter wiederum sie beschaut. Das Karussell der Blickwechsel.
Damit nun aber ist die Betrachterbeteiligung noch keinesfalls am Ende. Denn seinen narrativen Blättern, die fast illustrativen Charakter haben, gibt Schenkel Titel, wie Fußfallen. Keine Motivbeschreibungen, sondern Rätsel, Titel, die ironisieren, auf alle Fälle aber irritieren. Die Phantasie wird in Gang gesetzt und kann nicht weit genug gehen.
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Abbildung 3


Schenkel selbst gibt Beispiele. Man lasse ihn ein Bild beschreiben und er wird eine Geschichte erzählen, die am Ende offenläßt, was nun letztendlich der Ausgangspunkt war: das Bild für die Erzählung oder die Erzählung für das Bild? Das ist der Spott Schenkels, der Eindeutigkeiten nicht zulässt. In den jüngst entstandenen Blättern ändert sich der Ton. Die Erzählung wird zurückgenommen zugunsten einer weniger lärmenden, stilleren Betrachtung. (Abbildung 3) Das Erkennen des gegenständlichen oder figürlichen Bildmotivs funktioniert nicht mehr auf den ersten Blick, die Reduzierung führt zu einer stärkeren Abstraktion, damit verbunden zur intensiveren Reflexion.
Aus der Situationsbeschreibung wird eine Zustandsanalyse, die einhergeht mit einer Veränderung des Stiles. Schenkel drückt sich sparsamer, zugleich dichter aus. Konzentrierter fasst er in einem durchgehenden Schwung Konturen und damit die Körperhaltung zusammen, verzichtet auf die Binnenzeichnung, erweitert aber die graphische Gestaltung und integriert Farbe. Zuerst in den Gesichtern, dann im Hintergrund setzt er sie ein als ein Mittel, das nicht gegenstandsgebunden ist und eine weitere Dimension hinzufügt.

Mit diesen Arbeiten schlägt Hermann Schenkel binnen kurzer Zeit wiederum einen neuen Weg ein, der wie bislang all seine Änderungen eine Steigerung bedeutet.

Verena Tafel