Albert Merz 1985
Galerie Lietzow

Text von Godehard Lietzow


Arbeiten von Albert Merz waren schon früher in unserer Galerie zu sehen. Mit der Ausstellung, die von diesem Katalog begleitet wird, setzen wir dennoch einen Neubeginn. Neubeginn im doppelten Sinn. Mit Albert Merz starten wir nach fünfzehnjähriger Galerie-Tätigkeit zu einem Arbeitsprogramm, das sich erst im Laufe der kommenden Zeit voll darstellen wird.
Neu ist allerdings auch der Albert Merz, der aus den hier gezeigten Arbeiten hervortritt. Neu zumindest für Berlin. An anderen Plätzen führte Merz seine veränderte künstlerische Bildersprache bereits erfolgreich vor. Nicht, dass einer hier sein künstlerisches Ego verlassen hätte. Was Merz heute arbeitet, steht in einem klar ersichtlichen Kontinuum zur Arbeit in der Vergangenheit. Verändert, geweitet und aufgehellt hat sich nur das künstlerische Bewusstsein und, hieraus hervorgehend, die Wahl der Gestaltungsmittel.

All dies hat seinen direkten Ausgang in einer Reise, die Merz 1984 nach Italien führte. Und, wäre unser Zeitgeist nicht so cool wie der Geist früherer Jahrhunderte, man würde sich das Bild ausmalen, wie der Künstler aus dem kalten Norden von einer südlichen Muse geküsst, geweckt und inspiriert wird.

Als ich das erste Mal nach jener Reise in das Atelier im Berliner Wedding stieg, war ich völlig perplex und begeistert: vor mir lag eine Fülle von Blättern, zarte Transparent-Papiere, leicht und sparsam mit Kohle bezeichnet, gelegentlich mit Silberbronze oder Farbe bildlich ergänzt. Zeichnungen von faszinierender Knappheit in der Formulierung von einem von Blatt zu Blatt schier überquellenden Bildideen-Reichtum, wie ich sie bei Merz bis dahin nicht kannte.

Nichts mehr von der Farben- und Malschwere seiner einstigen Bilder. Geblieben war die prinzipielle Ernsthaftigkeit seiner Figurationen, doch aus der kompakten Flächigkeit von einst zu knapper linearer Nennung befreit. Spielerisch, im musischen Sinne, die Variationen dieser Figurationen, doch nie verspielt, nie mit Überflüssigem das Wesentliche verdeckend. Dazu die Fülle der Dinge, aus dem Alltag zitiert, zeichenhaft vereinfacht, nicht selten zu archaischer Sinnbildhaftigkeit komprimiert. Graffitohafte Kürzel, zu Restspuren verwischt, von neuen Sinnzeichen überlagert.

Nicht das Bildungs-Italien hat Merz verändert – so sehr Merz sicher auch etruskische Kunst und manches andere liebt. Mehr, glaub ich, waren es Wärme, Sonne, die lichte Offenheit von Natur und Leben, die Heiterkeit der Menschen, die etwas in ihm weckten, was ohnehin in ihm steckt. Nach Berlin zurückgekehrt, in die Einsamkeit des Ateliers, begann er mit der Umsetzung dieser neu erfahrenen Fülle künstlerischer Freiheit. Großformatige Bilder entstanden, vorallendingen jene für Merz inzwischen spezifischen Diptychen, Doppelbilder, in denen auf lapidare Weise die Synthese seiner künstlerischen Polarität verstanden werden muß. Expression und fast heraldisch klare Formulierung, kryptische Spur und nennendes Zeichen, Traumbild und Realitäts-Notation sind zu einem Bild-Bekenntnis vereint. Kohle und Kreide haben Farbe und Pinsel ersetzt. Wo Farbe im Spannungsfeld von Hell und Dunkel erscheint, wirkt sie sparsam akzentuierend, ist sie oft auf ein erdiges Gelb, ein lichtes Cölin-Blau oder rostiges Rot reduziert.

Unser Blick, in den zurückliegenden Jahren von der Farbenflut der neu-wilden Malerei schier überschwemmt und getrübt, erholt sich im Sehen sensibel-spröder Zeichenspuren. Unser Bewusstsein, von der obsessiven Gewalt teutonischer Mal-Pragmatik korrumpiert, erlebt im einfachen Zeichen ein positiveres Signal als aus den Malsaucen des bad-painting.

Bezogenheit zu den Mythen dort wie hier. Doch bei Merz ist der Schritt zu den Mythen weniger ein Schritt in die Nebelzone des Subjektivismus als ein Heraufholen lange verschütteter archaischer Bilder von jenseits des Ichs. Und, seltsamerweise: diese Bilder und Zeichen werden identisch mit den Bildern und Zeichen, in denen Merz dieses Heute nennt und den jetzigen Menschen und dieses ganze verdammt-geliebte Leben mit dem Endziel Tod. Die Bilder und Blätter von Albert Merz sind veristische Graffiti, wahrhaftige zeichnerische Nennungen, jenen Graffiti verwandt, in denen sich Menschen seit altersher an Wänden bekennerisch niederschrieben.

Würde ich eine Empfehlung geben, so würde ich diesen Künstler abermals nach Italien schicken. Anders als viele, die in der Villa Massimo oder der Villa Romana bestenfalls ihre Biografie mit einer Auszeichnung aufstocken, würde Albert Merz ein Füllhorn voller Inspiration nach Hause bringen. Des bin ich sicher.

Godehard Lietzow