Karl-Ludwig Lange 1991
Galerie Lietzow

Text von Freya Mühlhaupt

Mit ungewöhnlicher Intensität hat Karl-Ludwig Lange in den vergangenen vier Jahren eine Serie von Bildern gemalt, die thematisch wie formal in enger Beziehung zueinander stehen. Was sie - auf den ersten Blick – charakterisiert, ist die Erscheinung einer schemenhaften, in ihrer physischen Präsenz kaum mehr als ahnbaren menschlichen Figur und eine zurückgenommene, vorherrschend von kühlen und warmen Grautönen bestimmte Farbigkeit. Angesiedelt auf einem schmalen Grat zwischen Abstraktion und Sinnlichkeit, zwischen Gestaltwerdung und Auflösung umgibt die Bilder eine Aura von Verinnerlichung und Stille.

Zwei Bildtypen sind – zeitlich nacheinander und jeweils ein Grundmotiv über einen längeren Zeitraum hin variierend – seit 1987 entstanden: Zunächst eine Werkgruppe zum Thema "Liegende", dann, von 1989 an, eine Serie von Bildern zum Thema "Stehende". Die Erfahrung der Todesnähe während eines Krankenhausaufenthaltes hat Karl-Ludwig Lange die Zerbrechlichkeit und ständige Bedrohung des Lebens bewusst gemacht und hat in seiner künstlerischen Arbeit Spuren hinterlassen. Sind seine früheren Bilder durch die Hervorhebung der Körperlichkeit und Bewegung der Figur, durch eine gestische Malweise und starke Hell-Dunkel-Kontraste charakterisiert, so sind "Liegende" und "Stehende" durch Verhaltenheit und eine nach Innen gewandte Intensität bestimmt. Das Spannungsverhältnis von Figur und Raum ist aufgegeben zugunsten einer Farbfläche, in die die Figur eingelassen und eingebunden ist. Nicht die Figur, sondern die Farbe entfaltet sich zu eigenem Leben, erzeugt eine räumliche – und geistige – Tiefe.

Die nuancenreiche Farbräumlichkeit der Bilder entsteht durch den Aufbau mehrer, sich überlagernder Farbschichten, die in einem langsamen und geduldigen Arbeitsprozess aufgetragen, abgekratzt und erneuert werden.

Bei den Bildern der Liegenden erscheint die Farbe von schwebender Leichtigkeit und atmosphärischer Transparenz. Die Bilder der stehenden Figuren haben dagegen pastose, krustige Oberflächen, die narbiger Haut oder verwitterten Mauern gleichen. Jedesmal entsteht durch die Arbeit mit und an der Farbe der Eindruck eines lichthaltigen, unbegrenzten schweigenden Raumes. Von diesem Farbraum eingeschlossen und zugleich ausgespart erscheint in strenger senkrechter oder waagrechter Ausrichtung die gleichsam zu einem Urbild des Menschen reduzierte und verdichtete Figur. Durch sie, die in ihrer Statuarik an archaische Plastik und in ihren Proportionen an gotische Skulpturen erinnert, tritt zu der räumlichen eine zeitliche Tiefendimension. Nach und fern, schutzlos ausgesetzt und unangreifbar entrückt verflüchtigt sich die Figur in den letzten Bildern zu einem bloßen Schatten, dessen Farbwert sich an den Rändern ankündigt, bis sie durch eine abstrakte Form eher vertreten als veranschaulicht wird.

Karl-Ludwig Lange will die Farbe zum Sprechen, will Räumlichkeit und Licht zum Ausdruck bringen. Darüber hinaus versucht er auf etwas zu verweisen, das sich jenseits der subjektiven Verfügbarkeit ereignet, als Einbruch einer unerklärlichen Ferne. Alles Endliche, so Friedrich Schleiermacher, bestehe "nur durch die Bestimmung seiner Grenzen, die aus dem Unendlichen gleichsam herausgeschnitten werden müssen".

Die frontal in das Bild gesetzte stehende Figur und das Körperprofil der auf einem niedrigen Sockel fast über die ganze Bildbreite hingestreckten liegenden Figur, die Vertikalität des Lebens und die Horizontalität des Todes – zwischen diese beiden Pole sind die Bilder Karl-Ludwig Langes gespannt.

Freya Mühlhaupt